Warum Pusteblume?
Eigentlich hatte ich mir gar nichts Schlimmes dabei gedacht, als Moni und Achim kamen, mit prüfendem Blick um mich herumgingen und immer wieder auf das ein oder andere Detail hinwiesen …
So richtig mulmig wurde mir erst als sie mit der Flex anrückten, da wurde mir der Ernst der Lage bewusst und dass es das Ende meines gemütlichen Daseins hier in der Gartenecke sein würde.
Bis dahin war mein Leben eigentlich ziemlich unspektakulär verlaufen. Als ich noch im Dienst war kamen Kalle, Werner und Fritz jeden Morgen zur Brotzeit. Das muss jetzt schon mehr ein halbes Jahrhundert her sein. Kalle verkrümelte immer den Tabak auf meinem Holzboden, und Fritz ließ mindestens einmal pro Tag seine Stulle mit dem Gesicht nach unten drauf fallen. Keine Ahnung, wie so ein ungeschickter Typ Baggerführer werden konnte. Er kratzte den Belag dann vom Boden ab, schob ihn zurück auf die Stulle, brummte „Dreck reinigt den Magen“ und biss herzhaft rein. Kalle dagegen aß fast garnichts, dafür trank er kannenweise von dem schwarzen Gesöff, das sie auf dem kleinen Kocher in der hinteren Bauwagenecke als Kaffee zusammenbrauten. Werner war der netteste, er hatte immer zwei Brotdosen dabei, in der einen war die Stulle, die seine Mutti, ihm jeden Morgen liebevoll schmierte und in der zweiten, da war meistens was klebriges Süßes drin. Das teilte er dann mit den beiden anderen.
Werner hatte auch so‘n Sinn für andere Sachen … Fritz machte sich dann lustig, und Kalle klapperte nervös mit den Augendeckeln. Er war ja auch viel zu dünn, so als Bauarbeiter konnte der sich glatt hinter seiner Schippe verstecken. Nee, nee! Aber zurück zu Werner, einmal stand meine Tür weit offen, und da wehte ein Lüftchen rein, es war so ein warmes, feines, mit Farben drin und während Fritz die Stulle vom Boden abkratzte, schaute Werner nach draußen und seine Falten fielen alle nach unten, so entspannt war er. Kalle starrte ihn an: „Wassen los?“, fragte er, aber Werner schaute nur wie ‘ne Kuh.
Dann stand er auf, nahm die kleine Blechbüchse aus dem Bord über dem Herd und ging raus. Als er zurückkam waren drei leuchtende Löwenzähne in der Blechbüchse, und als Werner sie auf den Tisch stellte, schienen sie von innen her zu strahlen.
Kalle, Werner und Fritz starrten auf die Blumen in ihrer Mitte. „Schön“, brummte Fritz und Kalle nickte.
Am nächsten Morgen als sie in den Bauwagen kamen, strahlten die Löwenzahnblüten schon zur Begrüßung, und – kaum zu glauben – Kalles Zigarette blieb kalt, und Fritz vergaß seine Stulle fallen zu lassen, nur Werner teilte wie immer seine Süßigkeiten. Und alle saßen ganz stumm und versunken um den Tisch herum.
Am dritten Tag war helle Aufregung bei mir, denn als Kalle, Werner und Fritz kamen, waren aus den Löwenzahnblüten Pusteblumen geworden und die Drei überschlugen sich mit Erinnerungen an ihre Kindheit. Kalle brüstete sich damit, dass er immer der Schnellste war, naja kein Wunder bei den langen Beinen, und Fritz schaute an seinem Schmerbauch runter und meinte, dass er mal’n ganz hübscher Kerl gewesen sei, was Anlass zu großem Gelächter gab. Werner fiel das Poesie-Album seiner Mutter ein, aus dem einmal ein vierblättriges Kleeblatt gefallen war, aber er traute sich nicht zu erzählen, was er sich damals gewünscht hatte, nämlich seine Grundschullehrerin zu heiraten. Dafür wollte er groß werden und studieren. Naja, es hat dann doch nur für die Volksschule gereicht, aber gelesen hat er trotzdem immer.
„Was machen wir‘n jetzt damit“, fragte Kalle mit Blick auf die drei Pusteblumen.
„Na pusten!“, sagte Werner und so nahm sich jeder eine Blume und als sie vor meiner Tür standen bliesen sie, was das Zeug hielt …
Ja, so war das und jetzt stehe ich hier an meinem neuen Platz, frühlingsgrün gestrichen und warte auf meinen ersten Gast, weil ich bin jetzt so eine Art „Gästeunterkunft“ und schon total gespannt. Soll ’ne Künstlerin sein, mein erster Gast und arbeiten will‘se hier. Ah, da kommt’se schon, hat ’nen grünen Hut auf, das gefällt mir!
Was ich mir allerdings immer noch nicht erklären kann, ist, wie konnten meine beiden Besitzer von der alten Geschichte was wissen? Denn an meiner Seite hängt jetzt ein Schild mit meinem neuen Namen und der ist „Pusteblume“. Wer hat ihnen davon erzählt?